Aus dem Schaden nichts gelernt?

Die griechische Regierung jubelt, dass sie in der vergangenen Woche erstmals offiziell Geld fürs Schuldenmachen erhielt. Ganz richtig ist diese Aussage nicht, denn zumindest die vom Haircut im ersten Quartal 2012 betroffenen Privatanleger mussten auf knapp 106 Milliarden Euro ihrer Ansprüche verzichten.

Es geht im aktuellen Fall um die am 9. Oktober ausgegebenen kurzfristigen Staatsanleihen in Höhe von 487,5 Millionen Euro, für welche Griechenland innerhalb von dreizehn Wochen einen um 0,02 Prozent verkleinerten Betrag zurückzahlen wird. Kurz zuvor herausgegebene zehnjährige Anleihen über knapp 1,5 Milliarden Euro wurden mit 1,5 Prozent verzinst. In den Jubel der Regierung meldete sich der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis mit einem kritischen Wort. Unter anderem twitterte er, dass sich nur ein Narr freuen könne. Denn die negativen Zinsen seien eine Wette der Märkte auf Rezession.

Dies, das Kommen einer weltweiten Rezession, ist den Regierenden in Athen nicht unbekannt. Sie ziehen nur (wieder einmal) die falschen Schlüsse. Nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers im Jahr 2008 war der damalige Premierminister Griechenlands, Kostas Karamanlis von der Nea Dimokratia, mit der Aussage an die Öffentlichkeit getreten, dass die griechische Wirtschaft perfekt „gepanzert“ sei, und im Gegensatz zur übrigen Welt die Wirtschaftskrise schadlos überstehen würde.

Die Aussagen des Premiers sollten Kritiker beruhigen, die hinter der Gewährung von Milliardenbürgschaften für die von der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Banken ein großes Risiko für die Staatsfinanzen sahen.

Das Ergebnis von Karamanlis „Panzerung“ ist hinlänglich bekannt. Die Banken konnten ihre Verpflichtungen nicht zahlen, die Bürgschaften wurden fällig. Karamanlis, der jüngst bekanntgab, bei kommenden Wahlen nicht mehr zu kandidieren, hatte sein Land in die im dritten Quartal 2009 nicht mehr vertuschbare Staatspleite gesteuert.

Zehn Jahre später stellt sich, wie in der vergangenen Woche beim Athens Investment Forum, ein weiterer Politiker der Nea Dimokratia, der Vizevorsitzende und Minister für Aufbau und Investitionen, Adonis Georgiadis, ans Podium und trifft folgende denkwürdige Aussage. Die bevorstehende weltweite Rezession, meinte er, sei für Griechenland eine Chance wegen der negativen Zinsen und der daraus resultierenden Möglichkeit von Investitionen.

Das Ministerium für Aufbau und Investitionen in Griechenland ist nichts weiter als das, was gemeinhin im Sprachgebrauch als Wirtschaftsministerium bezeichnet wird. Georgiadis spricht nicht nur bei Wirtschaftsforen, er bringt aktuell seinen neuen Fünf-Jahres-Plan als Wirtschaftsförderungsgesetz durchs Parlament.

Klimaschutz? – Nicht in Griechenland

Teile des Gesetzes sind jedoch tatsächlich dazu geeignet, Griechenlands Schwimmen gegen den Strom zu demonstrieren. So werden die privaten Firmen, die in der Ägäis fossile Brennstoffe fördern wollen, mit finanziellen Anreizen der staatlichen Förderung gelockt. Darüber hinaus sollen sie mit dem Wirtschaftsförderungsgesetz von Umweltschutz-Auflagen befreit werden. Statt einer Prüfung einer Umweltverträglichkeitsstudie und deren Genehmigung, so wie es bislang für sämtliche Unternehmen im Land vorgeschrieben ist, dürfen sich die Förderfirmen fossiler Brennstoffe, sowie weitere Großunternehmen selbst das Umweltverträglichkeitszeugnis ausstellen. Dies geschehe, lässt die Regierung wissen, um Investitionen zu erleichtern.

Gekippt werden auch Beschränkungen für die Ansiedlungen von Industriebetrieben im Großraum Attika, wie sie in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts zum Schutz der Bürger vor der legendären, täglich über der Hauptstadt liegenden Smog-Wolke eingeführt wurden. Es ist die Absicht der Regierung, erneut mehr Arbeitsplätze rund um und in Athen zu schaffen. Statt dieser Vorschriften, welche Industriebetriebe je nach dem Grad der Belästigung von Bürgern und Umwelt einteilen, gelten künftig bürokratisch vereinfachte Verfahren. Der Staat gibt darüber hinaus die Kontrolle zur Einhaltung der Umweltschutzgesetze an private Unternehmen ab.

Schwarzgeldbekämpfung oder Erleichterung der Geldwäsche?

Das Wirtschaftsförderungsgesetz beinhaltet auch für die Geldwäsche eine Hintertür. So müssen bislang in Griechenland in ein Amt gewählte Politiker, Beamte, Journalisten, Gewerkschaftsfunktionäre und Medienunternehmer alljährlich eine Vermögenserklärung ablegen. „Pothen-Esches“ (Pothen Es-ches gesprochen) heißt der Vorgang, was übersetzt „woher hast Du es“ bedeutet. Alle Konten, mobilen und immobilen Wirtschaftsgüter, sowie sämtliche Einkommen des Erklärenden und seiner mit ihm verbundenen Verwandten müssen offen gelegt werden.

Der vom Erfinder erdachte Sinn dieser Erklärungen ist es, die Vermögensverhältnisse von für die Bildung der öffentlichen Meinung, die Verwaltung und die Politik maßgeblich verantwortlichen Personen minutiös zu erfassen. Dem Grundgedanken für das Pothen Esches entspringt, dass auf diese Weise Schwarzgelder und Schmiergelder, sowie wirtschaftliche Abhängigkeiten direkt erkennbar sind.

Die Regeln sind streng. So müssen auch arbeitslose Journalisten offen legen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Schließlich könnten sie von einem Unternehmen gekauft sein und mit einer privaten Internetpräsenz als Influencer arbeiten - oder aber auch von ausländischen Interessengruppen gekauft werden.

Eine Nichtabgabe oder gar eine Falschangabe bei der Erklärung wird strafrechtlich verfolgt, und mit drakonischen Strafen belegt. So zumindest in der Theorie. In der Praxis galt erfahrungsgemäß die Regel, dass große Tiere laufen gelassen werden, sofern ihre Strafverfolgung nicht politisch sinnvoll erscheint. So konnte der frühere Wirtschaftsminister von SYRIZA, Giorgos Stathakis in seiner Erklärung, ein paar Millionen Bankeinlagen und ein paar Immobilien, weil es so viele waren, strafffrei „vergessen“, während in Ungnade geratene Politiker wie der aktuell wegen Geldwäsche verfolgte frühere PASOK Finanz- und Verteidigungsminister Yanos Papantoniou vor dem Kadi stehen.

Theoretisch sollte es im Sinn einer von der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds als Kreditgeber zur Bekämpfung des Schwarzgelds vertraglich verpflichteten Regierung sein, Missstände wie die selektive Kontrolle der Angaben einzelner Personen zu beschränken, und das Instrument Pothen Esches endlich effizient fürs Eintreiben von Steuern und Strafgeldern zu nutzen.

Die Regierung in Athen attestierte jedoch, dass das Instrument Investoren abschreckt. Ergo beschloss sie es für Investoren abzuschaffen. So kommt es nun zum Paradoxon, dass Journalisten, Fotoreporter, Redaktionsmitarbeiter, Rundfunk- und Fernsehtechniker bei Sendern, sowie Kameraleute und Tontechniker ihre Vermögensverhältnisse offen legen müssen, während die Besitzer der Medien davon befreit sind.

Schließlich brauchen diese, die Medienbesitzer, gemäß der neuen Gesetzgebung nicht einmal namentlich bekannt zu sein. Sie können sich hinter der von der Regierung dazu vorgesehenen Anonymität verstecken. Der Begriff Transparenz wird allgemein sicher anders verstanden, als ihn die griechische Regierung interpretiert.

Stärkung der Oligarchen

Gleichzeitig mit der Befreiung der Investoren vom Nachweis der Herkunft ihres Reichtums, erleichtert die Regierung auch die Streichung von Altschulden. So wurde der Forthnet Konzern kürzlich von einem neuen Investor übernommen. Der Investor, Fußballboss, Reeder, Medienbesitzer, Lokalpolitiker und Inhaber einer Medienvertriebsgesellschaft, ist hinsichtlich der Nennung seines Namens sehr empfindlich.

Diesbezüglich haben reiche Personen in Griechenland weiterhin eine scharfe Waffe in der Hand, die Justiz. Wann immer eine Person sich durch ein Presseerzeugnis beleidigt fühlt, kann sie gegen eine Gebühr Strafanzeige stellen. So lange das Presseprodukt zugänglich ist, gilt für die verantwortlichen Journalisten die Rechtslage „auf frischer Tat“. In der Praxis bedeutet dies, dass sie sofort verhaftet werden können und dann innerhalb von zwei Tagen vor ein Schnellgericht gestellt werden.

Es ist in diesem Zusammenhang allerdings auch unerheblich, den Namen eines mutmaßlich begünstigten Oligarchen zu nennen, denn jede bisherige Regierung im Land hatte entsprechende Protegés. Im aktuellen Fall schuldet Forthnet dem Staat und den Banken dreistellige Millionenbeträge. Die dem Staat geschuldeten Sozialabgaben und Steuern sollen mit einer Ratenregelung abgestottert werden. Die Bankschulden in Höhe von mehr als 350 Millionen Euro werden zu 80 Prozent erlassen.

Forthnet, das für rund 45 Millionen Euro den Besitzer wechselte, ist in Griechenland Internetprovider und Betreiber von Pay-TV Sendeplattformen. Somit handelt es sich auch hier um ein Medienunternehmen, weshalb es auch passend erschien. Es handelt sich jedoch keineswegs um einen Einzelfall. Diejenigen, die theoretisch über genügend Geld verfügen, genießen in Griechenland weiterhin als „Investoren“ eine Art Asyl, um lästige Altschulden los zu werden.

Verlierer ist der Mittelstand

Bei der Überwindung bürokratischer Hürden setzt die Regierung auf Großinvestoren. Wer mehr als 40 Millionen Euro investiert und mehr als 100 Arbeitsplätze schafft, bekommt seine Betriebserlaubnis im Eilverfahren. Für den Mittelstand gilt somit eine Zweiklassengesellschaft, denn die Ressourcen, welche für die schnellere Bearbeitung der Anträge von Großinvestoren benötigt werden, fehlen dann bei den Genehmigungsverfahren für Mittelständler und Kleinbetriebe.

Für Arbeitnehmer ergibt sich im Rahmen der neuen Gesetzgebung insofern eine Verschlechterung ihrer Lage, als dass Unternehmen künftig mit Berufung auf ihre Wirtschaftslage einseitig niedrigere Löhne zahlen können. Darüber hinaus werden die Rechte der Gewerkschaften stark beschnitten.

Darüber hinaus verspricht sich die Regierung viel von einer Digitalisierung des gesamten Landes. So sollen Investoren künftig über eine Datenbank nach passenden bereits bestehenden Industriegebäuden und Grundstücken suchen. Das zu schaffende 5G-Netz soll darüber hinaus mit schnellem Internet zu einem Wachstum der Wirtschaft führen.

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